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Was bedeutet es, Medizinstudent zu sein?
Was bedeutet es Mediziner respektive Medizinstudent zu sein?
Eine Frage, die man am besten auf dieselbe Weise beantwortet, wie die Frage, was es bedeutet Deutscher zu sein. Man erfährt es erst durch einen gewissen Kulturschock.
Eine Erklärung dazu.
Man lernt erst, was die eigene Kultur ausmacht, wenn man im Ausland unterwegs ist und auf Widerstände trifft, auf Verhaltensweisen die nicht deckungsgleich mit den eigenen sind.
Das heißt, man lernt viele Charakteristika des Medizinstudiums erst dann kennen, wenn man mit Studierenden anderer Fächer zu tun hat. Das ist ein kontinuierlicher Prozess. Manchmal können wir einander nur so gut verstehen, wie wir uns selbst verstehen. Und manchmal ist es eben genau umgekehrt: Ich erkenne erst durch die anderen, wie ich mich verändere. Wobei die Metamorphose zum Mediziner keine einheitliche ist und individuell sehr unterschiedlich. Außerdem kann man sich natürlich fragen, ob diese Metamorphose jemals abgeschlossen sein kann.
Zurück zum Kulturschock
Ein anschauliches Beispiel dafür lieferte letzte Sonntagnacht. Als Anmerkung zu meiner Person darf erwähnt werden, dass ich wie viele andere (Medizin-) Studenten eine starke Neigung dazu habe, nachtaktiv zu sein.
Da sitze ich also um 1Uhr40 mit Wollsocken auf dem Bett und wälze mich in einer ungesunden Mischung aus Unzufriedenheit und Erschöpftheit. Die Dinge, die ich die Woche abarbeiten wollte, habe ich nicht ganz geschafft. Wie immer. Montags erweitert sich meine To-do-Liste auf magische Weise um neue Punkte. Wie immer. Also was tun? Meine kognitiven Fähigkeiten und meine Lebenslust halten mich davon ab, mir um diese Uhrzeit den mikroskopischen Aufbau der Plazenta beizubringen. Also noch mal, was tun? Die verdammte To-do-Liste. Noch während ich mit dem Gedanken spiele, am nächsten Morgen einfach um 5 Uhr aufzustehen, um Versäumtes nachzuarbeiten – ich bin übrigens auch Frühaufsteherin, mit Schlaf habe ich es anscheinend nicht so – klingelt mein Handy.
Am Apparat ein sehr enger Freund, Biologiestudent zweiten Semesters, vollkommen aufgedreht
Er sei sturzbetrunken, erklärt er mir. In der StuSie (Studentenwohnheim im Seepark Freiburg, muss man kennen, wenn man hier studiert) schmeißt jemand eine Poolparty. Ich müsse kommen, das dürfe ich mir nicht entgehen lassen. Nach einigem Nachfragen – der Alkoholpegel war tatsächlich zu vernehmen – stellte sich raus, jemand hatte ein Planschbecken aus einem Zimmer in den Gang des Wohnheims manövriert. Währenddessen ich mir anhöre, dass der junge Biologe seine Hausarbeit Botanik machen müsste, aber lieber trinken gegangen ist, bekomme ich von einer Freundin, auch Medizinerin, die Nachricht, dass sie ebenfalls auf besagter Poolparty ist. Meinen Biologen habe sie auch getroffen, sagt sie. Der Biologe trällert in den Apparat, er ginge jetzt im See schwimmen und beendet das Telefonat.
Stille, ich schaue auf meine Socken – das Spannende am Studieren
Plazenta werde ich jetzt jedenfalls keine mehr lernen. Die Geschichte illustriert einerseits, wie unterschiedlich eine Sonntagnacht bei Angehörigen verschiedener Studiengänge aussehen kann. Andererseits soll damit angedeutet werden, dass auch unter den Medizinern große Unterschiede bestehen können. Ich kann somit immer nur von einer allgemeinen Tendenz sprechen, die, unabhängig davon, ob sie auf mich zutrifft oder nicht, keinen Anspruch auf Vollständigkeit haben soll.
Ich kann nur für Authentizität garantieren.
Der Studiengang ,,Humanmedizin” ist ein großer Studiengang. Es finden sich Menschen aller Altersgruppen, mit oder ohne Kind, mit oder ohne berufliche Vorerfahrung, mit oder ohne Begeisterung für dieses Studium. Man kann das als positiv oder negativ erachten, es macht die Interaktion mit Kommilitonen jedenfalls zu etwas Spannendem, da sie immer ein wenig unberechenbar ist.
Zu mir als Autorin und Medizinstudentin
In der Schulzeit hatte ich nie so richtig eine Vorstellung davon, was es bedeuten soll Mediziner zu sein. Ich bin somit relativ vorurteilsfrei in das Studium gestartet. Man bekommt aber zu hören, dass es ein hartes Studium, ein hartes Berufsleben bereithält, das Medizinerdasein.
Ich habe somit geahnt, dass Freizeit und ich von nun an eine Fernbeziehung führen werden. Wie ich zum Medizinstudium gekommen bin, soll an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden. Nur so viel weitere Information zu mir: mit Freizeit kann ich nicht gut umgehen.
Ein anderer Studiengang?
Ich habe direkt nach dem Abitur mit dem Studium begonnen. Ob ich mehr Zeit mit Reisen verbracht hätte, wenn ich nicht zu Coronazeiten begonnen hätte, werde ich wohl nie sagen können. Es stand zwar außer Frage, dass ich es auch ohne FSJ, Medizinertest oder Anrechnung anderer Zusatzqualifikationen in das Medizinstudium schaffen würde (ein ausgezeichneter Abiturschnitt kann auch ausreichen), ich hatte jedoch trotzdem Zweifel. Also habe ich mich zusätzlich für einen Studienplatz bei der „Molekulare Medizin“ beworben. Mit dem Gedanken ein Physikstudium in Angriff zu nehmen, habe ich übrigens auch gespielt.
Erstaunlicherweise habe ich später einige Mediziner kennengelernt, die sich ebenfalls für Molekulare Medizin beworben hatten. „Aber nur im Labor zu sein, das ist nichts für mich, ich will mit Menschen arbeiten.“, bekam ich nicht selten zu hören, wenn ich nachfragte, warum sie das nicht weiter verfolgt hätten. Da mag zwar sicherlich etwas dran sein, mir tut das Studiendekanat Molekulare Medizin dennoch leid.
Ich weiß nicht, ob ein Back-Up-Dasein für diejenigen, die am NC Humanmedizin gescheitert sind, wirklich angemessen ist.
Bei Molekularer Medizin kommt man auch mit einem Schnitt von 1,8 rein, sie legen mehr Wert darauf, Studenten zu haben, die sich wirklich für Naturwissenschaften begeistern. Ein Umstand, der sich schon beim Bewerbungsverfahren bemerkbar macht, bei dem man einen Text zu persönlichen Motivationen und Intentionen schreiben muss. Ich empfinde das als eine ausgezeichnete Art, die Eignung für ein gewisses Studium einzuschätzen. Klar kann man im Vorhinein nicht unbedingt wissen, ob der Studiengang für einen passt. Aber so setzt man sich zumindest ein wenig intensiver mit der Frage auseinander.
Ich muss allerdings zugeben, dass ich noch keinen Freiburger ,,MolMed” beziehungsweise ,,Moli” getroffen habe (manche Begriffe des Studentenjargons sind in der Tat gewöhnungsbedürftig). Sie stellen im Gegensatz zu unserer großen Medizinerbande auch nur ein Grüppchen von 30 Studenten pro Studienjahr dar. Ich kam dieses Semester – ich befinde mich im zweiten Fachsemester – dennoch mit der Molekularen Medizin in Kontakt, da ich MolMed-Seminare hatte.
Das Medizinstudium – vielseitiger geht es kaum
Online-Seminare, per Zoom, weil mein Studium bis jetzt auf digitaler Ebene abläuft. Aber auch das soll an anderer Stelle weiter vertieft werden. Das Seminar zeigt eine Eigenschaft des Medizinstudiums, die ich mitunter am meisten liebe: die Vielschichtigkeit. Das sollte nicht verwundern, wenn man bedenkt, wie facettenreich die Medizin ist.
Psychologie, Soziologie, Biologie, Pharmazie, Chemie, Molekulare Medizin, …. man kommt mit allen Fächern in Berührung. Im Institutsviertel (entspricht dem Zuhause der naturwissenschaftlichen Studiengänge Freiburgs) trifft man dann auch die Repräsentanten der Fächer. Physiker, die neben Medizinern auf der Wiese hocken und zu Mittag essen.
Medizin ist interdisziplinärer Austausch. Medizin ist Wissenschaft. Sie ist nichts Konstantes, sie pausiert nicht, sie ist haltlos, atemlos. Medizin verändert sich ständig und entwickelt sich (optimalerweise) weiter. Wenn man das Spektrum der Medizintechnik mit einbezieht erweitert sich dieser Horizont noch ein Stückchen mehr. Innerhalb der Medizin kann man Wege in alle möglichen Richtungen einschlagen und sich, wenn man denn möchte, immer weiter spezifizieren.
Man hat die Chance, sich in ein Fachgebiet zu verlieben, die individuell – passende Tätigkeit für sich zu finden, wenn man sich selbst genug Gehör schenkt und genug Motivation hat. Somit ist der Studienstart Humanmedizin kein endgültiges Urteil. Es ist ein Anfang.
Medizin ist es sowohl für die, die sich gefunden haben, als auch für die, die sich noch finden möchten.
Autorin:
Audrey
Coucou, mein Name ist Audrey und ich bin eine aufgeweckte Medizinstudentin aus Freiburg!
Derzeit befinde ich mich ich im vierten Fachsemester Humanmedizin der Albert-Ludwigs-Universität. Ich bin unternehmungslustig, neugierig und nehme mich selbst meistens nicht allzu ernst. Hier schreibe ich ehrlich und ungeschönt über das Medizinstudium, das Studentenleben und so manches anderes.
Mach dir doch einfach dein eigenes Bild. Bis dann!
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