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Modul 3, Teil 2: Enthusiasmus
Der ganze Tag liegt noch vor mir. Die Sonne scheint mir auf die Nase, die Luft ist aufgewärmt. Dennoch scheint mir der Tag viel zu zerbrechlich. Schaffe ich es heute, meine Gelassenheit aufrecht zu erhalten? Schaffe ich es, in der Uni auf meine Mitmenschen zu treffen und mich dennoch nicht stressen zu lassen? Ich frage es mich jedes Mal auf’s Neue. Noch bin ich gut gelaunt. Wenn auch in ständiger Erwartung, dass diese Stimmung jederzeit in das Gegenteil umschlagen könnte.
Ich muss an Margot Bickel denken. ,,Pflücke den Tag.“, hat die deutsche Lyrikerin geschrieben.
Pflücke den Tag und gehe behutsam mit ihm um
Es ist dein Tag,
24 Stunden lang
Zeit genug,
ihn zu einem wertvollen Tag
werden zu lassen
darum lass ihn nicht
schon in den Morgenstunden verwelken.
Die Sonne blendet ein wenig. Das Wetter ist gut. Viel zu gut. Ich traue ihm genauso wenig, wie meiner Laune.
Ich laufe summend die Straße entlang. Auf dem Weg zum Biochemiepraktikum. Mit der Ahnung, dass mein Wissen diesmal eventuell nicht reichen könnte, um das Testat zu bestehen. Im Rucksack das Praktikumsskript, in der Tasche weitere Lernmateralien und mein Laborkittel. Ich telefoniere mit einem Freund. Wir planen das nächste gemeinsame Lerntreffen. ,,Ja habe alle Sachen dabei. Ich komme dann nach dem Praktikum direkt ins Parlatorium. Mhm. Ja. Du, ich glaube ich muss Schluss machen, da scheint jemand gestürzt zu sein. Muss schauen, was da los ist. Tschö.”
Und tatsächlich. Ein paar Meter vor mir sitzt eine Frau zusammengekrümmt auf dem Boden. Neben ihr eine besorgniserregend-große Blutspur. Sie hält sich die Nase. Rechts und links von ihr steht ein älteres Pärchen. Ich eile zu ihr und knie mich vor sie hin. ,,Alles okay?”
,,Sie ist gestürzt! Wir sind auch dazu gekommen.”, antwortet das Pärchen stellvertretend.
Ich blicke der Frau prüfend in das Gesicht. Ist sie ansprechbar? Bei vollem Bewusstsein? Orientiert? ,,Hallo. Mein Name ist Audrey. Sind Sie gestürzt?”
Die Frau antwortet mir auf meine Fragen. Sie scheint orientiert, wenn auch etwas unter Schock stehend. Das Pärchen teilt mir mit, dass sie bereits den Notarzt verständigt haben. ,,Sind sie Ärztin?”, sie deuten auf den weißen Kittel, der aus meiner Tasche ragt. Der Ärmel muss mir beim Hinknien herausgerutscht sein. ,,Nein. Tatsächlich nicht. Ich studiere noch Medizin.” Ich lächele die beiden an. Sie sind mir sympathisch. Sie erzählen mir, dass viele Autofahrer an der gestürzten Dame vorbeigefahren sind, ohne sich nach ihr zu erkundigen. Ich schüttele nur den Kopf. Dennoch bin ich froh, als kurz darauf der Rettungswagen auftaucht. Schließlich muss ich pünktlich zum Testat im Labor aufkreuzen. Ich verabschiede mich von der versammelten Mannschaft.
Paradoxerweise hat der Vorfall meine gute Laune nur gefestigt. Ich bestehe das Testat. Das Praktikum läuft wie geschmiert. Ich stecke meine Laborpartnerin ein wenig mit meinem Enthusiasmus an. Wir arbeiten so eingespielt, dass wir sogar eine Stunde vor Schluss mit allen Versuchen und dem Skript fertig sind. Meine Laborpartnerin ist ziemlich geschafft. ,,Ich kann gefühlt gar nichts anderes mehr sagen, als ‘Ich bin so erschöpft’.” Sie hat im 3. Modul eine besonders anstrengende Professorin erwischt. Unter den Studenten ist diese dafür bekannt (und gefürchtet), dass sie ziemlich temperamentvoll sein kann. Auch alle Präptische in der näheren Umgebung sind nicht von ihr sicher. Ich kann verstehen, dass meine Laborpartnerin ausgelaugt ist. Bei näherer Betrachtung der anderen Laborpartizipienten fällt mir auf, dass einige Studenten besonders demoralisiert wirken. Ein Mädchen stellt ihre Lösung in das 35 Grad Becken statt in das 95 Grad-Becken. Ihr fällt es zu spät auf. Frustriert läuft sie an uns vorbei. Ich höre noch, wie sie grummelt ,,Ich hasse meine Existenz.” Überrascht ziehe ich die Augenbrauen hoch.
Da könnte ich doch fast schon Schuldgefühle bekommen, weil ich gut gelaunt bleibe.
Nach dem Praktikum unterhalte ich mich noch lange mit meiner Laborpartnerin. Ich kenne sie schon länger, hatte aber nie näher mit ihr zu tun. Etwas das bei unserem großen Studiengang sicher nicht selten passiert. Jetzt merke ich, dass das eigentlich schade ist. Sie scheint mir ein Mensch zu sein, mit dem man gerne Zeit verbringen würde. Ich gehe mit einem guten Gefühl zur UB. Meine Befürchtungen haben sich nicht bewahrheitet. Meine Freunde warten im Parlatorium.
Im zweiten Teil des dritten Moduls fasste ich den Beschluss die Sachen doch einmal ein wenig anders anzugehen.
Mit guter Laune. Mit Enthusiasmus. Auf meine Weise. Voller Überzeugung, dass ich in dem kommenden Testat überzeugen könnte. Ego-Sache, als kommende Neurochirurgin. Schließlich ist bei dem Testat ‘Kopf’ dabei.
Einfach lesen. Informationen sammeln. Schauen was geht. Nicht zu hart zu sich selbst sein, wenn es einmal doch nicht klappen sollte, wie man sich vorstellt.
Der Deal ist: Nett zu sich selbst sein, dafür aber nicht aufgeben.
Ich fuhr relativ lange gut mit diesem Kurs.
Dann passierte etwas, das bewirkte, dass auch ich die Nerven verlor.
Autorin:
Audrey
Coucou, mein Name ist Audrey und ich bin eine aufgeweckte Medizinstudentin aus Freiburg!
Derzeit befinde ich mich ich im vierten Fachsemester Humanmedizin der Albert-Ludwigs-Universität. Ich bin unternehmungslustig, neugierig und nehme mich selbst meistens nicht allzu ernst. Hier schreibe ich ehrlich und ungeschönt über das Medizinstudium, das Studentenleben und so manches anderes.
Mach dir doch einfach dein eigenes Bild. Bis dann!
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