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Modul 3 Teil 5 : Testat
Tuut. Tuut. Tuut. Ich marschiere im eiligen Laufschritt, während ich bibbernd das Handy umklammert halte. Es ist eisig kalt. ,Warte, ich rufe dich gleich zurück.’, antwortet der Angerufene. Er weiß Bescheid. Er ahnt was jetzt angesagt ist.
Ich biege um die Ecke. Wechsele die Straßenseite. Er ruft zurück.
,Hallohooo.’
Was folgt ist eine kleine Redediarrhöe meinerseits.
,Ich habe Alles vergessen. Ich weiß gar nichts mehr. Ich finde das nicht gut, was hier gerade passiert. Wie kann es sein, dass ich das ganze Modul über nur zweimal die Nerven verliere und jetzt kommt alles hoch? Ich habe permanent gute Laune gehabt und jetzt gehen mit mir die Nerven durch. Es ist doch normalerweise andersrum. Normalerweise werde ich doch kurz vor der Prüfung immer tiefenentspannt.’
Tatsächlich habe ich die Zeit nach meinem Schädelkauf komplett mit Entspannung und guter Laune verbracht. Ab und an hatte ich Schuldgefühle, weil mir diese Stimmung unangebracht vorkam.
Gerade im Hinblick auf meine Kommilitonen, denen es teilweise echt miserabel zu gehen schien. Aus therapeutischen Gründen hieß es auch diesmal: Abstand nehmen von allen Nervenbündeln. Was sich teilweise als herausfordernder entpuppte, als man womöglich meinen könnte.
So erinnere ich mich beispielsweise an einen Kurstag, an dem ich es noch nicht einmal bis in das Histologiegebäude geschafft hatt,e ohne dass besorgte Stimmen laut wurden. ,,Ja, das ist schon ne andere Nummer. Wenn der Dozent wieder so viele durchfallen lässt…”
Auf dem Weg zum Spind ,,Mensch, diese ganzen Leitungsbahnen kann ich mir nicht merken man. Was ist denn da an der Schulter los?”
Ich schalte auf Durchzug. Zum einen Ohr rein und so weiter.
Als wir im Saal stehen, um die Leiche herum, da wird es mir doch zu viel.
,,Habt ihr auch alle Altfragen seit 2014 durchgearbeitet?”, fragt die eine. „Nein?“ würde ich gerne antworten, nehme mir aber stattdessen eine runde Pinzette und schweige. Man unterhält sich darüber, ob der Prof 2016 oder 2015 die Zahnformel geprüft hat. Es wird immer nerviger.
,,Sina?*”, ich richte den Blick auf eine befreundete Kommilitonin, die mir gegenüber steht. Auch sie hat sich eine runde Pinzette geschnappt, wir beide präparieren den selben Bereich. ,,Ja?”, sie blickt mich fragend an. ,,Hast du einen Lieblingssong? Irgendwas, das so ne richtig eingehende Melodie hat? Ich brauche was, das ich innerlich summen kann.”
Die anderen sind unterdessen verstummt. Wir unterhalten uns über die Musik, die wir gerade so hören. Klar soll man sich im Präpsaal am besten über Anatomie unterhalten. Alles andere wird nicht gerne gesehen (bzw. gehört). Denn, nur so tragen wir den größten Lerneffekt davon, heißt es. Allerdings hatte ich nicht den Eindruck, dass das Gespräch davor tatsächlich produktiver war.
,,Weißt du gestern Abend, da fing es plötzlich mit der Anspannung an. Es war total merkwürdig. Und unbefriedigend. Weil ich nicht ganz aufgeregt war. Nur so beinahe. Beinahe nervös. Aber dafür auf konstantem Level. Und heute morgen, da ist es auf einmal rapide mehr geworden. Ich habe sogar alle Tipps befolgt, die ich dir neulich vor deinem Testat gegeben habe.”
Tatsächlich hatte der Angerufene erst wenige Tage vor mir sein Testat. Er brummte nur zustimmend. Denn er wusste, dass ich den Redeschwall einfach rauslassen musste.
,,Und überhaupt. Ich kann keinen einzigen Unterarm- oder Oberarmmuskel. Auch an der Hand nicht.”
Jetzt interveniert er doch. ,,Stimmt nicht. Die kannst du. Wir sind im Parlatorium auf und ab gegangen, während wir die Handmuskulatur besprochen haben.”
,,Hmm. Können wir die Unterarmmuskeln einmal durchreden?”
,,Natürlich. Machen wir.”
Ich steige in die Straßenbahn und rede dabei ununterbrochen von oberflächlichen und tieferen Muskeln. Rede, obwohl mich ein älteres Pärchen und ein kleiner Junge neugierig beäugen.
,,Okay. Das kannst du doch.”
Ich merke urplötzlich, wie mein Stresslevel abflacht.
,,Okay. Ich glaube ich schaffe nachher zwei Punkte. Den dritten Punkt improvisiere ich mir daher. Notfalls denke ich mir einfach anatomische Begriffe aus.”
Der Angerufene lacht. Er hat einmal zu mir gesagt, dass ich dazu neige ‘Anatomisches Scrabble’ zu spielen, wenn ich nicht weiter weiß. ,Du ziehst dann einfach irgendwelche Begriffe aus dem Beutel und reihst die beliebig lang aneinander.’
,,Genau.”, sagt er fröhlich. ,,Zwei Punkte schaffst du sicher. Den dritten auch noch. Und dann schaust du einfach, was du da so rausholen kannst.”
,,Okay. Danke, dass ich dich behelligen durfte. Ich glaube, ich konzentriere mich jetzt noch die letzten Minuten auf mich und kehre in mich. Ich umarme dich!”
,,Viel Erfolg.”
Man könnte meinen, ich muss als Anruferin eine Zumutung gewesen sein. Doch Tatsache ist, gerade in solchen Momenten ist es gut, wenn man Freunde hat, die sowas tolerieren. Ein Geben und Nehmen. Der Anrufer von heute ist der Angerufene von morgen.
In der Ferne erblicke ich bereits die Fassaden des Histologiegebäudes.
Ich bin bereit für meine Routine. Betrete das Gebäude, gehe zum Spind, ziehe den Kittel an und lege meine Sachen ins Fach. Jetzt fehlt nur noch eins: Waschraum. Haare zubinden. Brille auf, Superchirurgin.
Ich weiß noch, wie ich plötzlich eine komische Ahnung hatte. Auf dem Weg zum Waschraum krame ich mein Handy heraus. Ich prüfe eine Tabelle.
Ach. Du. Schreck.
Ich hatte mich in der Zeile mit meiner Matrikelnummer vertan. Mein Prüfungstermin war 10 min früher, als ich dachte.
Ich mache vor der Tür des Waschraums kehrt und stürme mit offenem Mantel die Treppe in den oberen Saal hoch. Zum Glück bin ich immer früher da. Ich komme genau passend.
Dennoch ist eine Kommilitonin, die eigentlich nach mir wäre, schon vorgezogen worden.
Ich bekomme Panik. Das Stresslevel ist wahnsinnig hoch.
Ich stehe am Eingang des Saals. Der Hiwi gibt mir mit einer Geste zu verstehen, dass ich abwarten soll. Ich laufe nervös vor dem Eingang auf und ab. Binde im freien meine Haare zurück und setze die Schutzbrille auf.
‘Was ist, wenn ich nicht zugelassen werde? Wenn ich als verspätet gelte? Bin ich gerade durchgefallen, ohne überhaupt anzutreten?’ , in meinem Kopf zirkulieren wild die Gedanken.
Dann werde ich vom Hiwi geholt.
Ich folge ihm durch den Raum. Der Dozent sitzt an einem Tisch und erwartet uns. Er strahlt Ruhe und Gelassenheit aus. Ganz im Gegensatz zu mir. Ich bin kurz davor hysterisch zu werden.
,,Es tut mir leid, ich bin bei der Tabelle mit den Prüfungsterminen in der Zeile verrutscht. Deswegen war ich nicht schon früher da.”, entschuldige ich mich.
,,Das, “, er räuspert sich. ,,Das ist dann wirklich schlimm.”
,,Mhmm.”, gebe ich von mir.
,,Das habe ich nicht ernst gemeint, das wissen Sie?”
Wieder lasse ich ein ,,Mhmm.” verlauten.
,,Also gut. Lassen Sie uns mit der Prüfung beginnen.”
Ich erwarte, dass wir zum Körperspender gehen. Doch er deutet nur auf den Schädel vor sich. Der Pfeifenputzer steckt bereits darin. Natürlich.
,,Beginnen wir zunächst mit etwas Harmlosen. Können Sie mir sagen, in welcher Öffnung der Pfeifenputzer steckt?”
Ich schlage die Beine übereinander. Die Aufregung ist wie weggeblasen. Das kann ich. Ich bin vorbereitet.
Ich werde nach Foramina und den durchtretenden Strukturen gefragt.
Wie erwartet möchte er den Verlauf der Leitungsbahnen wissen.
Woher kommen sie? Wohin gehen sie bzw. worin münden sie? Was versorgen sie? Was sind Besonderheiten?
Der Prüfer hat vor sich eine Liste mit Namen und Matrikelnummern der Geprüften liegen.
Die Besonderheit hier ist, dass man während der Prüfung auf die Liste luken kann und so direkt einen Anhaltspunkt hat, wie gut die Prüfung bisher verläuft. Wenn man seine Frage zufriedenstellend beantwortet, dann notiert er sich ein Kreuzchen. Wenn er nicht zufrieden ist eine Null. Allerdings habe ich gehört, dass er manchmal auch zögern soll, bevor er sich eine Null notiert. Dass er den Geprüften noch Gelegenheit gibt, sich zu korrigieren.
Es ist absolut zufriedenstellend, wenn man während der Prüfung dabei zusehen kann, wie er Kreuzchen für Kreuzchen setzt.
Irgendwann legt er den Pfeifenputzer beiseite.
,,Gut. Wie wäre das…Wir können ein wenig über das nächste Modul sprechen. Vielleicht wissen Sie das ja schon.”
Er stellt mir Fragen zur Riechbahn. Ich kann sie beantworten. Er stellt Fragen zu einer bestimmten Arterie, ich weiß leider nicht mehr welche es war. Ich weiß nur, dass ich etwas geantwortet habe, wie ,,Nein, die posteriore, die versorgt das nicht mehr. Die schafft das nicht mehr.”
Er muss lachen. Ich habe mir beim Lernen angewöhnt, mir die Leitungsbahnen wie etwas Lebendiges vorzustellen. Etwas ein Eigenleben führt und charakterliche Eigenschaften hat.
Welche Hirnnerven kommunizieren miteinander? Treffen einander? Machen komische Dinge?
Ich kann mich noch erinnern, wie ich meinen Freunden einmal einen bestimmten Nervenverlauf geschildert habe:
,,Der Recurrens, weißt du, der hat Stimmungsschwankungen. Der Vagus hätte sich auch einfach dazu entscheiden können nur nach unten bis zum Cannon-Böhm-Punkt zu verlaufen. Aber nö. Stattdessen geht er komplett steil. Der Laryngeus recurrens schlingt sich unter dem Aortenbogen hoch. Weils rechts keinen Aortenbogen gibt schnappt er sich kurzerhand die Arteria subclavia. Richtig abenteuerlustig klettert er dann nach oben. Weils da besonders gefährlich ist zwischen Ösophagus und Trachea. Sodass er bei möglichst vielen Eingriffen, wie z.B. Lymphknotenbiopsien geschädigt werden kann. Wenn’s nicht gefährlich wäre, fände er’s ja nicht spannend. Er verläuft auch direkt dorsal der Schilddrüse. Dann zieht er zum Larynx.”
Der Dozent amüsiert sich jedenfalls über mich. Macht seine Kreuzchen.
Dann gehen wir zum Körperspender.
Ich muss Leitungsbahnen am Hals zuordnen und in ihrem Verlauf erklären. Truncus thyrocervicalis. Er hält die Arterien zwischen der Pinzette.
,,Nun. Die…..”, er zögert. Ich sage ,,Schilddrüse”, weil er genau darauf seine Finger liegen hat.
Er amüsiert sich wieder. ,,Ja die Schilddrüse, die entspringt ja nicht dort, wo wir sie gerade sehen. Können Sie mir etwas dazu sagen?
Ich muss an die Lernkarten denken, die erst wenige Tage vor dem Modul bei mir angekommen sind. Auf zweien hat etwas zur Entwicklung der Schilddrüse gestanden.
Ich trete einen Schritt von der Leiche zurück. Atme tief ein und rattere die Entwicklung herunter. Dabei fasse ich mir an den Hals und den Unterkiefer, signalisiere den Mundboden. Diesmal ist es der Hiwi, der laut lachen muss. Ich drehe mich um und schaue ihn etwas überrascht.
,,Jaa….”, antwortet der Dozent. Er wirkt stets seelenruhig und tiefenentspannt. Womöglich war das zu viel des Elans für ihn.
,,Nun dann wollen wir uns noch dem Arm widmen.”
Mit seiner Pinzette hob er den Musculus Brachioradialis an.
Ich nannte ihm Namen, Funktion, Ursprung, Ansatz. Dann sprach ich über die Radialisgruppe und über Faustschlusshelfer.
Ich konnte sogar mit besonderen Details glänzen, da ich zufälligerweise genau dazu einen Vortrag gesehen hatte.
Dann waren wir fertig.
,,Ich glaube, Sie waren die letzte oder? Nach ihnen wird niemand weiteres hierher reingeschickt, oder?”
,,Ja schon. Ehm. Aber, dürfte ich eventuell erfahren, ob ich denn bestanden habe?”, fragte ich kleinlaut.
Der Dozent und der Hiwi lachten. Der Dozent rückte seine Liste gerade. ,,Besteht denn daran auch nur der geringste Zweifel?”
,,Ich weiß nicht, ich bin von Natur aus skeptisch.”, antwortete ich.
Auf seiner Liste erkannte ich meinen Namen. Nur Kreuzchen. Ich verabschiedete mich und verließ schnell den Saal. Anschließend stopfte ich meinen Kittel in das Schließfach. Draußen begegnete ich der Kommilitonin, die unmittelbar vor mir geprüft worden waren.
,,Audrey! Wie lief’s?”
Ich hüpfte halb zu ihnen. ,,Volle Punktzahl! Bestanden Juhu!”
Wir freuten uns alle füreinander. Niemand an unserem Tisch war durchgefallen. In der anderen Gruppe war es nur eine Person gewesen.
Tuut. Tuut. Tuut. Seit dem letzten Telefonat waren einige Stunden vergangen. Der Angerufene nimmt ab. Ich berichte. Lasse keine Einzelheiten aus.
,,Wooow. Glückwunsch!”
,,Jaa! Ich habe mir die volle Punktzahl geholt. Es hat sich gelohnt, es auf meine Art zu machen! Der Stress, den die anderen ausgeübt haben, der war absolut unnötig. Hoffentlich schaffe ich es in Zukunft häufiger, mich auf mich selbst zu konzentrieren!”
Er antwortet ausführlich.
,,Weißt du, was das heißt?”, frage ich ihn.
,,Sag’s mir.”
,Wir gehen mit guten Karten in die Endrunde! Das letzte Modul knacken wir auch noch!”
Autorin:
Audrey
Coucou, mein Name ist Audrey und ich bin eine aufgeweckte Medizinstudentin aus Freiburg!
Derzeit befinde ich mich ich im vierten Fachsemester Humanmedizin der Albert-Ludwigs-Universität. Ich bin unternehmungslustig, neugierig und nehme mich selbst meistens nicht allzu ernst. Hier schreibe ich ehrlich und ungeschönt über das Medizinstudium, das Studentenleben und so manches anderes.
Mach dir doch einfach dein eigenes Bild. Bis dann!
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