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Studium der Humanmedizin organisiert in schwarzen Notizbüchern

Durchgeplant und Vorbereitet? Teil 1

– Über M1 und Ehrenamt

Es war ein langer Tag. Ich komme nach Hause. Die Sonne steht bereits sehr tief, doch der Tag ist noch nicht vorbei. Ein Termin steht noch an. Müdigkeit und Unterzuckerung machen sich bemerkbar. Ich hatte den Entschluss gefasst, das kleine Zeitfenster, das sich in meiner Zeitplanung gefunden habe, für eine kurze Rast daheim zu nutzen. In Gedanken schon bei meinem warmen Abendessen, schließe ich mein Fahrrad an.

Mein Handy klingelt.

,,Audrey? Bist du dann gleich da?”

Ich räuspere mich. ,,In einer Stunde meinst du? Ja, bin ich.”

,,Ehm, nein. In 10 min. Hat dich meine Mail nicht erreicht?”

Nein, hatte sie offensichtlich nicht. Ich seufze. Das Fahrradschloss noch in Händen, lasse ich die Arme sinken. 

,,Ja also, was heißt das jetzt? Müssen wir das verschieben?”

Panik. Bloß nicht. Das würde meinen Tagesplan noch mehr durcheinanderbringen.

,,Nein, ich bin in 10 min da.”

Ich drehe mich um und bringe das Schloss wieder am Rad an, sodass es abfahrbereit ist. Dann ducke ich mich nach meinem Rucksack, den ich während des Gesprächs abgelegt hatte. Ein Huschen in meinem Blickwinkel. Ich richte mich auf.

Es ist meine Freundin. Wir sind länger nicht mehr gemeinsam spazieren gegangen. Manchmal, wenn ich nach Hause komme oder von dort aufbreche, wartet sie auf mich. Vielleicht fünf Meter von dem Ort entfernt, an dem ich immer mein Fahrrad anschließe.

Sie beobachtet mich aus wachsamen Augen. Beobachtet mich, wie ich eine Brezel aus meinem Rucksack krame und mich auf das Rad schwinge. Beobachtet mich nicht das erste Mal auf diese Weise.

Ich sollte noch pünktlich kommen.

,,Ich bin mir ja nicht sicher, wo das Kommunikationsproblem gelegen hat. Ich weiß auch nicht mehr, welche Uhrzeit ich beim Telefonat gestern genannt habe.”

Ich schweige. Ich habe den Termin bei 19 Uhr eingetragen. Wenn ein Termin nicht zur eingetragenen Uhrzeit stattfindet, bin ich erstmal ratlos. Ich widerstehe dem Impuls meinen Rucksack zu öffnen und mein ledernes Notizbuch heraus zu kramen. Es ist noch relativ neu, die Folie ist noch nicht lange gelöst.

Ich habe die Semesterferien genutzt, um mir über vieles klar zu werden. 

Früher, das heißt lange vor dem Studium, habe ich auch schon immer sehr viel Dinge gleichzeitig gehandelt. Viele Projekte, Hobbys, Freunde, gute Noten. Nicht immer alles auf gesundem Weg. Weil man es nicht immer schafft, all das über einen gesunden Weg zu managen. Schlafmangel. Sich selbst unter Druck setzen. Grenzen austesten. Ich bin nicht mit allem einverstanden, was ich damals an Methodik drauf hatte.

Doch vieles war auch positiv. Die Struktur, beispielsweise. Das Verlangen danach entspricht meiner Wesensart. Mir ist es klar geworden, als ich in beim Frühjahrsputz in den Semesterferien die vielen Notizbücher in meinem Bücherregal betrachtet habe. 

Ja, wer sich viel zumutet, braucht Struktur. Planung war schon immer meine Art der Stressbewältigung. 

,,Sollte mal etwas los sein, dann erwarte von mir nicht allzu viel tröstende Worte. In sowas bin ich nicht gut. Aber was ich tun kann ist, dir Strategien an die Hand zu geben. Ich arbeite mit dir einen Plan aus.”, hat eine Freundin mal zu mir gesagt. Ihr geht es demnach ähnlich wie mir. Wir verstehen uns.
Im vierten Semester brauche ich also mehr Planung, habe ich beschlossen.

Das Physikum rückt in greifbare Nähe. Wobei es mir mehr so scheint, als würde es seine Klauen nach mir ausstrecken.

Es müssen Vorbereitungen getroffen werden. Fristen müssen eingehalten werden.

Hast du deinen Erste-Hilfe-Schein und die Zeugnisse für Pflegepraktikum bzw. FSJ bereits eingereicht? Hast du in den nötigen Kursen einen Schein? Überprüfe die Leistungsübersicht darauf, ob überall BE = Bestanden steht. Wenn nicht, muss früh etwas dagegen unternommen werden. Die richtigen Leute kontaktiert werden. Ich muss das nun machen, weil bei einem Teil-Praktikum des ersten Semesters eine falsche Einordnung in der Leistungsübersicht steht. 

Ich weiß noch nicht, an wen ich mich wenden muss, doch ich darf das ganze nicht allzu sehr aufschieben. Fristen.

Wer ein oder mehrere Stipendien hat, der muss eventuell Vorbereitungen der spezielleren Art treffen. Um ein Beispiel zu nennen, wäre es bei der Studienstiftung sicher nicht verkehrt, sich allmählich darüber im Klaren zu sein, welchen Professor/Dozenten bzw. welche Professorin/Dozentin man als persönlichen Gutachter wählt. Bei bestimmten Gutachtern hat es in der Vergangenheit gewisse Schwierigkeiten gegeben, weswegen die Studienstiftung lieber von ihnen abrät. Über so etwas sollte man sich nun Gedanken machen.

Hast du im Blick, wann die Videokonferenzen für die studentischen Infoveranstaltungen in Puncto M1 stattfinden?

Alleine die Planung für das Staatsexamen verdient einen eigenen Schein. Oder eben einige Seiten in meinem schwarzen Notizbuch.

Für mich war nicht klar, dass ich mein Stex in Regelstudienzeit* verrichte. Ich habe mir immer die Möglichkeit offen gehalten, es um ein halbes Jahr zu verschieben. Einfach, weil man es ja in der Regel nur einmal macht und die resultierende Note nicht unerheblich ist.

[Weitere Informationen zum M1 unter: Erster Abschnitt der Ärztlichen Prüfung – Regierungspräsidien Baden-Württemberg (baden-wuerttemberg.de)]

Doch ich habe beschlossen, es zu versuchen. 2022 noch Stex machen, es scheint unwirklich. Doch es bewirkt, dass ich mal wieder grundlegende Dinge überdenke und adaptiere.

Ich plane jeden Tag akribisch und versuche mir neben bestehenden Anforderungen zumindest nichts Neues aufzuladen. Es fällt mir nicht leicht. Ich habe eine Tendenz zum Workaholic. Aber es schlaucht auch manchmal. 

Neulich habe ich in der Pause vom Biochemie-Seminar mit meinen Freunden auf der Wiese im Institutsviertel gelegen – wirklich ein wunderschönes Ambiente, mit den ganzen friedlichen Studenten im Sonnenschein – und bin einfach weggedöst. Tja, Schlafmangel holt einen ein.

Aber es ist auch schön, was man so alles bewältigt bekommt, bei einem vollen Tagesplan. Was man so alles erlebt. Ich saß auch schon in Praktikas und Seminaren, nachdem ich am Morgen beim Ehrenamt war.

Sonnenaufgang. Ich sitze auf dem Fahrrad. Dem öffentlichen Nahverkehr in Freiburg habe ich derzeit die Freundschaft gekündigt. Zu unzuverlässig sind die Verbindungen. Zweimal SEV, um von einem Stadtteil zum nächsten zu gelangen sind mir zwei zu viel.

Außerdem hält das ständige Radfahren wach und fit. 

Wenig später stehe ich vor der noch verschlossenen Tür der Bahnhofsmission. Meine Kollegen winken mir freudig zu, als sie mich erblicken. Meine gute Laune nimmt gleich noch ein wenig zu. 

Es ist ein besonderer Tag. Meine Einarbeitungszeit ist nun offiziell beendet. Ich erhalte einen enormen Papierstapel an Unterlagen, die ich zu unterzeichnen habe. Deutsche Bürokratie, schöne diese. Dazu gibts: Dienstausweis, Blaue Jacke, ein eigenes Postfach und ein Namensschild. 

Ich bin nun fester Bestandteil des Teams. In den letzten Wochen konnte ich bereits einiges an Erfahrung sammeln und ein Gefühl dafür bekommen, was die Arbeit als Hauptehrenamtlicher bei der Bahnhofs Mission prägt.

Es waren auch einige intensive Themen dabei. Auseinandersetzungen. Zwischenmenschliche Situationen, die mich auch nach Schichtende noch beschäftigen würden. 

Hoch aktuell ist derzeit natürlich das Thema Flüchtlinge aus der Ukraine.

Es gibt Schichten, da habe ich kaum mit ihnen zu tun. In anderen Schichten müssen wir zwischenzeitlich den Stützpunkt schließen, weil alle Hände gebraucht werden, wenn eine Familie mit viel Gepäck weitervermittelt werden muss.

Anfangs hatte ich auch einiges mit jüngeren Flüchtlingen zu tun. 

Ungefähr in meinem Alter, plus minus zwei drei Jahre. Sie wirkten souverän. Manche konnten sogar englisch. Allgemein ist die Sprachbarriere teilweise nicht wenig ausgeprägt.

Auch der Google-Übersetzer hat so seine Tücken. So habe ich von einer Kollegin erfahren, dass beispielsweise ,,Umsteigen” falsch übersetzt wird. Wenn der Gegenüber dann plötzlich über seine ,,Transplantation”, statt seinen Umstieg informiert wird, kann das durchaus Verwirrung schaffen. Aber man arbeitet daran. Man verbessert sich. Man passt sich flexibel den aktuellen Anforderungen an und arbeitet mit anderen Helfer-Organisationen zusammen. 

Hauptbahnhof Freiburg, neue Schilder für eine bessere Orientierung ukrainischer Flüchtlinge

Erkenntnisse die ich gewonnen habe:

Die jüngeren Flüchtlinge zieht es eher in die Metropolen. Sie haben die Hoffnung, sich etwas Neues aufbauen zu können und interessieren sich dafür, wie sie am besten Anschluss gewinnen. Man darf sich nicht von ihrem souveränen Auftreten täuschen lassen. ,,Those trousers that I am wearing are the only ones I have left.”, hat eine 17-Jährige einmal zu mir gesagt. Sie und ihre Mutter mussten alles zurücklassen. Sie hatten bis auf zwei Rucksäcke nur eine weiße Box dabei. ,,Maximilàn”, ihre Katze hatten sie gerettet. Somit hatten sie auf Anhieb meine Sympathie für sich gewonnen. 

Das Mädchen hoffte in Deutschland ihren Abschluss machen zu können, um danach ein Studium in Angriff zu nehmen. Welches Studium genau, wusste sie allerdings noch nicht.

Mir ist bei der Vermittlung von Familien ein Zusammenhang aufgefallen: Während manche von ihnen besonders unruhig, erschöpft, aufgekratzt und verängstigt gewirkt haben, wirkten andere dafür umso ausgelassener. Erst später fiel mir auf, dass es daher rührte, dass erstere Panik davor hatten, abgewiesen zu werden und zurück zu müssen. Letztere hingegen klammerten sich an die Hoffnung, dass all das nur ein Übergangszustand sei, nachdem sie wieder zurückkehren könnten.

Ich sage nicht, dass sie nicht zurückkehren können. Ich stelle jedoch fest, dass sie noch nicht richtig akzeptiert haben, wie dieses ‘zurück’ aussieht.

Derzeit gibt es darüber hinaus eine Besonderheit: Manche wollen jetzt schon wieder zurück. Sprachbarrieren, unglaubliches Heimweh und der Umstand, dass sie häufig große Schwierigkeiten haben, ihr ausländisches Bargeld umzutauschen, wecken in ihnen das Verlangen, so schnell wie möglich in die Heimat zurückzukehren. Das mit dem Bargeld hat mich anfangs überrascht. Es ist nichts, worüber in der Berichterstattung geredet wird. Ich nehme an, dass man nicht zu viel der Währung importieren will, wenn zuvor auch nicht viel damit gehandelt wurde. Doch ich spekuliere nur.

( Geflüchtete können ukrainische Währung nicht tauschen – Görlitz – WochenKurier)

Ich kann verstehen, weshalb es die Familienmitglieder zurück in die Heimat zieht. Ich kann es wirklich verstehen. Doch ich hadere auch, wenn ich an die jüngsten Mitglieder der Familie denke. Wenn ich die Kinder sehe, die achtlos ihre Kuscheltiere hinter sich herschleifen. Die Kinder, die gedankenverloren an einem Apfel nagen, während die Mutter neben ihnen mit drei Gepäckstücken und den Geschwistern hantiert.

,,Ich kann denen doch nicht helfen, zurückzukehren. Ich schicke die Kleinen doch in den Tod.”, hat eine Kollegin zu meiner Vorgesetzten gesagt, nachdem sie bei der Vermittlung in ein bis dato umkämpftes Gebiet dabei war. 

Schwierig. 

Wenig später sitze ich in der Vorlesung und merke, dass ich noch nicht ganz fertig mit der Schicht bin. Zumindest mental.

An dem Tag beschließe ich, auch auf das Anschauen bestimmter Vorlesungen von nun an zu verzichten. Weil ich das Gefühl habe, mir in der Zeit mehr Stoff sinnvoller und nachhaltiger erarbeiten zu können.

Auch das ist eine typische Tendenz meinerseits. 

Klar ist aber auch, dass es weitere Posten in meiner To-Do-Liste einnehmen wird.

Mehr Punkte auf der To-Do-Liste, bessere Struktur, mehr Disziplin. 

Es ist ein berauschendes Gefühl, wenn alles klappt, wie es soll. 

Als ob man alles geregelt bekommen könnte, mit der richtigen Strategie.

Doch es wird sich noch herausstellen, dass es nicht immer leicht ist, das durchzuhalten. 


Autorin:

Audrey

Coucou, mein Name ist Audrey und ich bin eine aufgeweckte Medizinstudentin aus Freiburg!

Derzeit befinde ich mich ich im vierten Fachsemester Humanmedizin der Albert-Ludwigs-Universität. Ich bin unternehmungslustig, neugierig und nehme mich selbst meistens nicht allzu ernst. Hier schreibe ich ehrlich und ungeschönt über das Medizinstudium, das Studentenleben und so manches anderes.

Mach dir doch einfach dein eigenes Bild. Bis dann!

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