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Schnitzeljagd und die richtige Strategie: Es ist eines dieser Gespräche…
Wahrscheinlich hat man sie bis in den vierten lachen gehört. Lachen und Rufen. Pure Glücksgefühle. Wilder strömenden Regen. Damit man nicht vergisst, lebendig zu sein.
,,Im Grunde fängt es doch damit an,
dass du bei der Auswahl der Fächer, für die du lernen solltest, Prioritäten legst.
Es sind zu viele, als dass du dich allen gleichzeitig widmen könntest. Also richtest du dich nach den Prüfungsterminen. Was steht unmittelbar bevor? Vielleicht lernst du noch ein wenig vor für ein Fach, das besonders viele Themen umfasst. Früher oder später aber liegt das Augenmerk nur noch auf dem nächsten Prüfungstermin. Er bildet ein licht-absorbierendes Loch im Terminkalender.
Doch damit noch nicht genug. Innerhalb der Fächer musst du natürlich auch Schwerpunkte legen. Zu viele Themen, zu wenig Zeit. Wieviel Zeit planst du ein, um ein allgemeines Verständnis aufzubauen? Geht es dir beim Lernen darum, ein nachhaltiges Verständnis über gewisse Sachverhalte zu erlangen oder achtest du eher darauf, beim Lernen mit möglichst vieI des potentiell prüfungsrelevanten Stoffes in Kontakt zu kommen?
Ich habe schon mitbekommen, wie Studenten mehr Wert auf ersteres gelegt haben und das mit dem Nichtbestehen einer Prüfung bezahlen mussten. Klingt unlogisch? Macht aber Sinn, wenn man sich vergegenwärtigt, dass es im Medizinstudium, womöglich noch mehr als In anderen Studiengängen, beim Lernen sehr viel um Strategie geht. Wie wird gefragt? Was wird gefragt? Womit versuchen Professoren einen bei den Fragestellungen gegebenenfalls zu täuschen? Fragen sie eventuell sogar Spitzfindigkeiten ihrer Zusatzvorlesungen, aus Unmut darüber, dass sie von den Studenten nicht sonderlich besucht waren? Wie lernt man möglichst viel, möglichst schnell und schafft es dabei, auch noch ausreichend Faktenwissen in das Gedächtnis zu übertragen? Bei der Prüfung herrscht Zeitdruck. Wie beim TMS. Nichts für Leute die langsam denken. Faktenwissen auf Abruf bereit, damit man für die Transferaufgaben ausreichend Zeit hat. Es geht um Strategie.
Strategie beißt sich mit Verständnis. Das Aufbauen eines grundlegenden Verständnisses benötigt viel Zeit. Zeit, die du selten hast.
Diejenigen mit der richtigen Strategie haben höhere Chancen durch die Prüfungen zu kommen. Doch sie müssen sich Sachverhalte womöglich immer wieder erarbeiten, weil sie sich nie die Zeit genommen haben, die Logik dahinter ausreichend zu verstehen. Da trifft es die ,,Verständnislerner“ also wieder besser. Auch in Hinblick auf das Staatsexamen müssen sie eventuell weniger wiederholen.
Hinzu kommt, dass wir alle unterschiedliche Lerntypen sind. Unterschiedlich ausgeprägte Auffassungsgaben, unterschiedlich viel Vorwissen und Disziplin.
Interessant ist dabei, dass unser allgemeiner Wissensstand im Laufe des Studiums eher noch weiter zu divergieren scheint, als dass er konvergieren würde. Wie intensiv befasst du dich mit gewissen Themengebieten? In welchen Einrichtungen, im Rahmen welcher Veranstaltungen sammelst du welche Art von Erfahrungen? Man pflegt unterschiedliche Interessen. Vielleicht springt bei einem gewissen Zusatzkurs, Praktikum, oder Wahlfach der Funke über.
Womöglich, wer weiß.
Nun ja. innerhalb der Fächer legst du jedenfalls Schwerpunkte beim Lernen. Es kann passieren, dass du immer wieder die Lernstrategie änderst, weil du merkst, dass dir die Zeit zwischen den Fingern zerrinnt.
Ich mache das häufiger.
Neulich erst, nachdem ich von zweihundertsechsundzwanzig verfügbaren Fragen nur sieben an einem Tag beantwortet habe. Nicht, weil ich getrödelt habe. Sondern vor allem deswegen, weil ich sehr viel Zeit darauf verwendet habe, die Mechanismen hinter dem Thema zu verstehen. Am Ende des Tages war ich mehr als frustriert. Die Bilanz schien mir so mickrig, dass es gar nichts zählte, dass ich den Tag durchgelernt habe. Unzufrieden mit mir selbst, war mir klar, dass ich die Sache wohl anders anpacken muss. Am nächsten Tag schon, beim nächsten Thema. 226 Fragen zum Trotz muss ich ja schließlich schauen, dass ich auch die anderen Themengebiete abgedeckt bekomme.
Klar könnte man argumentieren, dass es schlicht und einfach ziemlich ambitioniert ist, einen kompletten Themenkomplex an einem einzigen Tag zu erarbeiten. Aber was will man machen? Der Prüfungstermin steht fest. Dunkles Loch, man erinnert sich.
Und für mein Gefühl zählt nur die Bilanz von dem, was ich so geschafft habe.
Es ist keine besonders aufbauende Einstellung. Ich richte jeden Tag danach aus, wie und wo ich am produktivsten sein kann. Wie ich möglichst viel geschafft bekomme.
Es beeinflusst zunehmend meine Handlungsentscheidungen. Fast schon nimmt es Überhand, wenn ich beispielsweise im vierten Stock der UB sitze und mich frage, ob das Vorhaben, kurz in der Eingangshalle etwas zu trinken zu holen bewirkt, dass ich danach aufnahmefähiger bin oder, ob ich dann riskiere endgültig aus dem Lernflow herauszukommen. Von dem Flow hatten wir es schon mal. Ziel beim Lernen ist stets, es in den Flow hinein zu schaffen und diesen möglichst lange aufrecht zu halten.
So optimiert du dich und deinen Tagesablauf jeden Tag auf’s Neue.
Aber weißt du was?
Irgendwann fragst du dich, wie du eigentlich die Prioritäten in deinem Leben setzt.“
Meine Freundin lacht auf.
Ich blicke sie an. Ihr Gesicht ziert ein breites Lächeln. Keine Maskenpflicht mehr in der UB. Wir befinden uns im vierten Stock, versteckt unter den Stehtischen. Nachdem wir mehrere Stunden nebeneinander gestanden haben, bin ich irgendwann einfach die kühle steinerne Wand herunter geglitten und habe auf den Boden weiter gelernt.
Sowas machen wir hier.
Wenn die Stiefel drücken, dann lernt man in Socken weiter. Warum auch nicht? Schließlich wohnen wir hier. Die UB nimmt die Medizinstudenten des vierten Stock mit Sicherheit irgendwann noch in ihren Mietvertrag auf.
Meine Freundin hat sich schließlich neben mich fallen lassen. Geschwisterlich haben wir zwei Biscuits aufgeteilt und beieinander gesessen. ,,Das hier unten, das hat schon was.“
,,Da ist man schön versteckt. Fast schon, wie als Kind, beim Höhlenbauen. Kissen, Bücher, Snacks und Kuscheltiere.“
,,Wir könnten ja noch Decken holen und die dann mit Promethen beschweren.“
Wir kichern.
,,Wenn wir jetzt noch Kuscheltiere auspacken, hält man uns für völlig übergeschnappt.“
Wer so viel hier ist, spielt das Bib-Game irgendwann nach seinen eigenen Regeln.
Der macht es sich angenehm und unterhaltsam. Irgendwie geht das schon.
Ein Beispiel hierfür ist die Sprüche-Schnitzeljagd, die ich irgendwann gestartet habe.
Ausschlaggebend war mein Amüsement über einen Spruch, den ich an einer Wand gesehen hatte. Er lechzte förmlich danach, von mir geteilt zu werden.
,,UB, oder?“, hatte jemand gefragt.
,,Wo ist das?“, wollte eine Freundin wissen. ,,Tja find’s heraus. Vielleicht bekommst du dann ja was.“
Wenige Tage später erhielt ich bereits das erste Beweisfoto davon, dass die Stelle ausfindig gemacht wurde.
,,Okay. Bist du bereit für das nächste Level?“
Erst heute wurde der nächste Bildausschnitt geteilt. Ein bisschen schwerer diesmal.
Ich bin gespannt, wie lange es dauert, bis die Stelle gefunden wird. Ob sie gefunden wird. Tatsächlich befindet sie sich keinen Meter von der vorherigen entfernt. Aber damit rechnet man ja nicht. Nicht, wenn einem theoretisch mehr als ausreichend viel beschriebene und bekritzelte Wände der gigantischen UB zur Verfügung stehen.
Doch ich bin auch zuversichtlich, dass es nicht allzu lange dauern wird. Wie gesagt, wir wohnen hier.
Nun gut, ich in letzter Zeit sogar tendenziell eher weniger. Einfach, weil ich Verpflichtungen außerhalb der UB nachzugehen habe.
Ehrenamt beispielsweise. Die jüngsten Schichten waren besonders intensiv.
,,Etwa 70 Leute sind es, die wir hier täglich haben, die auf die Mission angewiesen sind. 70 Leute die sich am Rande des Existenzminimums bewegen. Die finanziell so wenig vorweisen können, dass sie auf die Arbeit hier angewiesen sind. 70 Stück. Natürlich sind es in der Summe dann noch einige mehr. Andere Hilfesuchende, die zu uns kommen.“
Es war einer meiner Kollegen, von dem ich diese Information erhalten habe. Ein junger Jurastudent, der dem Ehrenamt genau wie ich neben dem Studium nachgeht und schon mit allen Wassern gewaschen scheint.
70 Leute. Ich weiß nicht, wieso mich diese Bilanz im Gegensatz zu ihm so überrascht hat.
,,Freiburg weiß seine Schattenseiten schon ganz gut zu verbergen.“, hat der Jurist auf meine Überraschung erwidert.
Ich sollte in den kommenden Schichten noch nachdrücklich veranschaulicht bekommen, wie Recht er damit hat.
Dennoch weiß ich auch, dass ich das Ehrenamt in nächster Zeit limitieren sollte.
Schließlich bin ich hauptberuflich Studentin…..
,,Irgendwann fragst du dich, wie du eigentlich die Prioritäten in deinem Leben setzt.
Du schaust den ganzen Tag in dein Buch hinein, dein Gehirn ist nicht hier. Dein Gehirn befasst sich mit den zahlreichen Kanälen der Nierentubuli. Du bist nicht da. Du existiert nicht. Hier im vierten Stock. Du bist woanders.“
,,So habe ich das noch nie betrachtet. „
,,Der Gedanke ist mir hier neulich gekommen, nachdem Ich mehrere Stunden über meinem Physiologiebuch gebrütet habe. Beim Musikhören, habe ich plötzlich auf auf den Songtext geachtet und realisiert, wie sehr sich das Leben der Person doch von meinem unterscheidet.
Im Endeffekt bin ich sicherlich froh, dass ich die Prioritäten anders setze, als die Person, über die gesungen wurde.
Lieber zermürbe ich mich, weil ich nicht alles geschafft habe, was ich mir zu Sinnesphysiologie vorgenommen habe, als dass ich mir über derart Unnötiges Gedanken mache.
Dennoch ist es nicht leicht, nie zufrieden mit sich und seinem Tagespensum zu sein.“
Meine Freundin nickt.
,,Deswegen schaue ich, dass ich jeden Abend etwas für mich mache. Lebensqualität sichern. Einen tollen Film schauen. Ein Buch lesen, wenn ich das Gefühl habe, noch etwas lesen zu können. Oder einen langen Spaziergang. Genau wie gestern.
Gestern im Regen.“
Eine Sache, die ich mit der Freundin teile, ist die Vorliebe für Regen. Es kann wahnsinnig therapeutisch sein, sich einfach zuregnen zu lassen. Einen kühlen Kopf bekommen, wenn das Gehirn vom Dauerlauf qualmt.
Das Gesicht gen Himmel richten. Wieder da sein, im Hier und Jetzt.
Genauso, wie das Gespräch mit der Freundin etwa abkühlendes hatte. Freunde braucht’s, die einen immer wieder erden.
Vor allem versteht sie, was viele von uns gerade beschäftigt:
Wieviel Pause kann man sich erlauben, wie viel sollte man sich stressen oder gar Stress entziehen, in Hinblick auf das, was uns bald bevorsteht.
In Hinblick auf das kommende Stex… Die Luft wird dünner.
Wahrscheinlich hat man sie bis in den vierten lachen gehört. Lachen und Rufen.
,,Ich kann mir doch nichts merken. Ich bin zu blöd für das alles …“, hatte die eine deprimiert von sich gegeben. Ehe die andere mehr als einen mitfühlenden Blick erwidern konnte, hatten beide aufgehorcht. Es regnete schon seit einigen Stunden, doch nun fing es so richtig an.
,,Weißt du, da bekomme ich Lust einfach rauszugehen und Uni ruhen zu lassen.“
,,Sollen wir?“
Offener Mund. Erstaunen über die Ernsthaftigkeit hinter dem Vorschlag.
Dann: Begeisterung. ,,Ja!“
Ruhe-Dehnungkurve, Volumenelastizitätskoeffizient, Enddiastolisches Volumen. Einfach alles liegen gelassen, im vierten Stock. Keine Jacke. Kein Schirm. Nur ausgebreitete Arme und Begeisterung. Pure Glücksgefühle.
Später mit platschnassen Haaren zurück im vierten. Ein Zwinkern und amüsiertes Lächeln von dem ein oder anderen Mitgefangenen. Die eine zeigt der anderen etwas auf dem aufgeklappten Laptop.
Die Seite einer Wetter-App.
,,Morgen überflutender Regen in Freiburg. Angesagt für 16:30 Uhr.“
,,Na, dann wissen wir, was ansteht.“
Sie werden wohl Wechselsachen mitnehmen, neben den Lernsachen.
Autorin:
Audrey
Coucou, mein Name ist Audrey und ich bin eine aufgeweckte Medizinstudentin aus Freiburg!
Derzeit befinde ich mich ich im vierten Fachsemester Humanmedizin der Albert-Ludwigs-Universität. Ich bin unternehmungslustig, neugierig und nehme mich selbst meistens nicht allzu ernst. Hier schreibe ich ehrlich und ungeschönt über das Medizinstudium, das Studentenleben und so manches anderes.
Mach dir doch einfach dein eigenes Bild. Bis dann!
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