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Erfahrungsbericht einer Medizinstudentin zum Physiologieklausur im vierten Semester

Nach der Klausur ist vor der Klausur II: Eine Entscheidung

Vor der Klausur ist nach der Klausur ist vor…..

Es ist heiß. Ich bin auf dem Weg ins Institutsviertel. Vor dem Praktikumsgebäude angekommen, schließe ich mein Fahrrad ab. Es sind sehr viele Leute versammelt.

Man würde nicht erkennen, welcher Mission sie nachgehen. Man sieht ihnen nicht an, dass es die Physiologieklausur ist, die sie hierher verschlagen hat. 

Sie sitzen da, sonnen und unterhalten sich.

Angesichts der scheinbaren Sorglosigkeit um mich herum, habe ich ein wenig Hemmungen mein Praktikumsskript rauszukramen.

,,Das mit dem unmittelbar vor einer Klausur lernen, das ist doch eine Illusion.”, hatte ein Freund von mir mal gesagt. ,,Das bringt doch eh nichts.”

Darauf hatte ich nichts erwidert.

Ich habe nämlich oftmals Glück mit den Dingen, die ich mir direkt vor einer Klausur ansehe.

Es tauchen immer mehr bekannte Gesichter um mich herum auf. Ich lasse meine Haare vor mein Gesicht fallen und verstecke mich hinter den Locken.

Ich sollte schon noch einen Blick hinein wagen, in das Skript. 

Vor mir steht ein Grüppchen mit Leuten, die zu meinen Freunden gehören. Ich hebe den Kopf, grüße kurz und senke den Kopf wieder.

Dann ein Druck auf meinem Haupt.

,,Das hast du da alles drin. Du kannst das doch.”

Ich erhebe mich und stelle mich neben meinen Kommilitonen. Ich weiß nicht, ob er Recht hat. Dennoch stecke ich das Skript ein.

Die Prüfung beginnt. Wir füllen unsere Bögen mit Bleistift aus und tragen auf einem gesonderten Bogen unsere Kennung ein. Die Prüfung vergeht. 

Grelle Sonne, aufgeheizte Stimmung. Ich stehe da, umringt von den vielen Studenten im Grün des Institutsviertels. 

Niemand scheint so richtig zufrieden mit der eigenen Leistung in der Klausur. Ich fühle nichts. Ich denke nicht, dass es gereicht hat. Aber ich fühle nichts. Ich führe einige Gespräche mit Kommilitonen. Zucke viel zu häufig die Schulter. Signalisiere womöglich Gleichgültigkeit. Doch es ist mehr Erschöpfung denn Entspannung.

Ich unterhalte mich mit Kommilitonen, denen es ähnlich geht. Es sind nicht wenige. 

,,Wenn es nicht geklappt hat,”, eine Kommilitonin schiebt sich ihre Sonnenbrille ins Haar. ,,Wenn es nicht geklappt hat, dann bin ich in ein paar Tagen im Urlaub.”

Bei mir hat sich eine andere Vorstellung verfestigt. 

Die Vorstellung von mir, in einem Zug auf dem Weg nach Paris. Ein Buch auf dem Schoss. Keine Aufschriebe bei mir. Keine Lehrbücher. Kein Laptop, keine Skripte, keine Karteikarten. Und dann in der Stadt herumlaufen. Die Umwelt wieder wahrnehmen. Mal durchatmen. Pausieren.

Die Stimmung im Institutsviertel ist aber nicht negativ. Es ist dennoch schön. Wir kennen einander mittlerweile. Wir stellen fest, dass Leute von unseren Leuten andere Leute kennen, die wir auch kennen. Die Kreise schließen sich. Man fühlt sich wohl. Man mag die Leute mit denen man studiert. Häufig ist man mit ihnen auf einer Wellenlänge, wie es mit anderen nicht möglich wäre. Sie verstehen einen. Sie halten einen auf Spur. Ein wenig Sentimentalität schwingt also mit, an diesem Abend im Institutsviertel. 

Unsere Wege werden sich wohl teilweise auftrennen. Manche werden nach dem Physikum in einer anderen Stadt studieren. Für andere ist die Vorklinik noch nicht vorbei, weil sie noch ein Praktikum, eine Klausur, einen Schein nachholen müssen.

Ich habe emotional mit der Vorklinik abgeschlossen. Eine prägende Zeit, ohne Frage. Ich habe gelernt, meine Maßstäbe zu adaptieren. Ich habe oftmals gespürt, wie es ist, weiter zu rennen, obwohl man die eigenen Grenzen schon längst überschritten hatte.

Ich habe gelernt, dass man nie alleine ist, mit dem was man gerade durchmacht. ,,Irgendjemand sitzt immer im selben Boot.”, hat es meine Freundin einmal ausgedrückt.

Im Laufe des restlichen Abends wird mir dann klar, dass ich mich unterbewusst schon länger für etwas entschieden habe.

Für den Physikums-Endspurt habe ich mir noch nicht einmal einen passenden Lernplan herausgesucht. Die Vorstellung in zwei Tagen ein Fach lernen zu müssen – nicht richtig, nicht nachhaltig, angetrieben von einer Menge Druck – ist zermürbend. Keine Zeit. Keine Zeit. Keine Zeit. Wie das Karnickel von Alice im Wunderland.  Verspannter Nacken. Verkrampfter Bauch. Eine Sache einmal anschauen und auf Anhieb verstanden und auswendig gelernt haben müssen, weil man sich keinen zweiten Blick wird erlauben können.

Dreißig Tage. Histologie, Anatomie, Biochemie, Physiologie und dann noch die Fächer aus den ersten Semestern: Bio, Psychologie, Soziologie, Physik und Chemie. Ich habe nicht einmal die zugehörigen Skripte gekauft.

Ich habe ganz genau bis zum Datum der Physioklausur geplant. Danach Ungewissheit.

Und plötzlich steht es fest. Ich werde dieses Semester kein Physikum machen. Ich werde meines im Frühjahr machen. Zwei meiner engsten Freunde treffen dieselbe Entscheidung. Ich bin nicht alleine.

Die Physioergebnisse werden uns bald erreichen. Mal schauen, wer sich dann noch dazu entscheidet bzw. entscheiden muss, das Stex zu verschieben.

Ungewiss bleibt, wie mein Stipendium zu dieser Entscheidung steht. Es ist der Haken der Geschichte. Werden sie mich fallen lassen, wenn ich erst im Frühjahr schreibe? Ich weiß es nicht. Ich würde es erst später erfahren.


Autorin:

Audrey

Coucou, mein Name ist Audrey und ich bin eine aufgeweckte Medizinstudentin aus Freiburg!

Derzeit befinde ich mich ich im vierten Fachsemester Humanmedizin der Albert-Ludwigs-Universität. Ich bin unternehmungslustig, neugierig und nehme mich selbst meistens nicht allzu ernst. Hier schreibe ich ehrlich und ungeschönt über das Medizinstudium, das Studentenleben und so manches anderes.

Mach dir doch einfach dein eigenes Bild. Bis dann!

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