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Lerngruppe für das Physikum Erfahrungsbericht Medizinstudentin

Moral beim Physikum: Flipflops und Bananenschalen

Nicht ganz drinnen, nicht ganz draußen, also nebendran.

Die Sonne scheint durch das Blätterdach.
Die kalte Steinfassade im Rücken, betrachte ich meine Freunde.
Auch sie sitzen in einem der Torbögen. Zwischen sich haben sie zwei Laptops aufgestellt, zwei Collegeblöcke und einen pinken Stift.
Sie wirken ausgelassen. Ein junger Kerl tritt durch den Torbogen und begrüßt sie. Ein flüchtig-bekannter Student eines anderen Studienganges. Ich tippe auf Politikwissenschaften. Könnte jedoch genauso Soziologie, Politik oder Geschichte sein. Womöglich ja auch ein verirrter Informatiker. Sie trifft man hier, im Eingangsbereich des KGs. Einzuordnen sind sie vor allem anhand der Art von Lektüre, die sie mit sich herumschleppen. In der Regel etwas, das ich nur lesen würde, wenn ich Hilfe beim Einschlafen bräuchte.
Manchmal erkenne ich sie auch an ihrem besonderen Schuhwerk. Der Flipflopverein hat im KG jedenfalls deutlich mehr Anhänger, als in der UB.

Allgemein haben sie einfach eine andere Ausstrahlung. Auf ihre Art alternativ. Sie passen einfach ins KG.
Es ist ein Eindruck, den man nur schwer beschreiben kann. Um zu verstehen, was ich meine, muss man wohl einfach lang genug im Torbogen gesessen haben.
Bei den anderen beiden. Umhüllt vom Blätterdach.
Ich beobachte sie, fasziniert.
Sie verfolgen ihre ganz eigene Choreographie. Ein Blick auf den Notizblock. Der eigene Laptop wird geöffnet. Kritischer Blick auf den Bildschirm. ,,Hmm, was gebe ich dir….?”, murmelt der eine vor sich hin. ,,Ahh.”
Klick. Klick.
Der Laptop wird umgedreht. Der andere beugt sich vor. Mehr oder weniger begeistert wird der Bildschirm gemustert. Gelegentlich ein theatralisches Aufseufzen. Dann wird gefachsimpelt und diskutiert. Irgendwann hopst der eine vom Torbogen und stellt sich auf die andere Seite des Bildschirms. Ab jetzt wird gemeinsam weitergegrübelt. Dann kehren sie wieder in ihre Ausgangsposition zurück. Ein kleines pinkes Häkchen verziert die Liste auf dem Collegeblock. Der andere öffnet indes seinen Laptop.

Die schriftliche Prüfung liegt hinter den beiden. Eine knappe Woche trennt sie nun von ihrem mündlichen Physikum.
Sie haben unterschiedliche Prüfer und unterschiedliche Prüfungstermine. Doch das gemeinsame Durchsprechen bietet sich dennoch an.
Gelegentlich blicke ich von meiner Lektüre hoch, wenn ich ihre Aufrufe höre.
,,Well, das haben wir doch abgehakt. Oder fällt uns noch etwas dazu ein?”
Ich habe meine Freunde vor und nach dem schriftlichen Physikum erlebt und habe in Prüfungszeiten mal mehr, mal weniger von ihnen gehört.
Ich bin ihnen mit gemischten Gefühlen begegnet.

Erleichtert, weil ich gerade nicht in ihrer Lage bin. Stolz, weil sie ihr Bestes geben. Verständnisvoll, weil ich ihre Zweifel verstehe. Gespannt, weil ich mit ihnen mitfiebere. Und ein wenig besorgt, weil mich früher oder später ähnliches erwarten wird.

Aufmerksam habe ich ihren Erzählungen und Schilderungen vom Physikum gelauscht.

Es ist schon etwas anderes, das aus der Beobachterperspektive zu erleben.

,,Was braucht es, damit man es moralisch durch das Physikum schafft?”, habe ich mich immer wieder gefragt.

Jeder hatte seine eigenen Strategien, um mit dem Stress fertig zu werden. 

Um den See rennen, sich bekochen lassen, sich in der UB verbarrikadieren oder jeden Abend ein Eis essen gehen, beispielsweise. 

Manche haben auch (wieder) mit dem Rauchen begonnen. 

Sie haben es mehr oder weniger bewerkstelligt, noch auf sich selbst acht zu geben.

,,Also im Grunde mache ich seit zwei Monaten Ramadam.”, hat ein Freund zu mir gesagt, nachdem ich ihn abends von der UB abgeholt habe und wir ihm erstmal Nervennahrung beschafft haben.

Die Beobachterperspektive, also. 

In Bezug auf das Physikum eine weitaus angenehmere Position als die des Akteurs. 

Ich: Muskelkater vom Bergsteigen. Meine Freunde: Nackensteife vom Sitzen. 

Unterschiedliche Leben, die wir gerade führen. Und doch sind sie meine Freunde. Und doch haben wir dasselbe Studium. Und doch kann ich die Selbstzweifel und Sorgen, die sie nachts wach halten, durchaus verstehen. 

Die Lerntage gehen vorüber. Laut meinen Freunden vergehen sie viel zu schnell. Das mündliche Physikum hält wohl seine ganz eigenen Tücken bereit. Ein ganz anderes Lernen als für das schriftliche. Spezifische Prüfer mit bestimmten Vorlieben und Tendenzen. 

,,Bei Prüfer XY unbedingt eine Maske aufhaben. Alles andere stimmt ihn schonmal schlecht.”

Die Geprüften verteilen Ratschläge und Tipps an die zukünftigen Prüflinge.

Wünschen einander Glück. Stehen einander bei.

,,Zu wissen, dass die anderen dasselbe durchmachen, wie ich, das hilft ungemein.  Beim 30 Tage Lernplan war ich immer ein bisschen hinterher. Aber egal, wen ich in der Bib getroffen habe, den Leuten ging es ähnlich.”

Gemeinsame Tage im Torbogen des KGs. 

,,Es war ein wunderschöner Tag heute.”, kommt es von einem Kommilitonen.

Ich reagiere überrascht. Schließlich ist es ein Tag weniger, der sie vom finalen Bestehen oder Nicht-Bestehen des ersten Ärztlichen Abschnitts trennt. 

Doch dann verstehe ich.

Es ist der Zusammenhalt, der dieses Gefühl hervorruft.

Schulter an Schulter über Histologie Präparaten büffelnd. Präparat für Präparat. Pinke Häkchen auf der Liste.

Auch ich habe bei ihnen gestanden. War Teil der Choreographie, auch wenn ich nicht geprüft werden würde. Auch, wenn ich sehr viel weniger zu den Präparaten auf dem Bildschirm sagen konnte, als meine Freunde.

,,Aber du kannst auch sehr viel, Audrey.”, hatten sie mir vermitteln wollen. ,,Der Rest kommt dann wieder, wenn es Zeit wird. Aber selbst jetzt kannst du einiges.”

Es half mir, dass sie das taten. Wie sie mir ihre Prüfungsbögen von Tag 1 und Tag 2 der schrfitlichen Prüfung zeigten. Wie wir gemeinsam die hohe Qualität des zugehörigen Bilderkatalogs bestaunten. Wie sie mir die Bögen in die Tasche steckten. ,,Schau es dir einfach mal in Ruhe  an. Du wirst überrascht sein, wieviel du davon beantworten kannst.”

Die Bögen liegen bei mir Zuhause, ohne dass ich auch nur einen einzigen Tag des Physikums-Lernplans absolviert hätte.

Auch sie stehen mir bei, ohne dass ich vermutet hätte, in Bedarf gewesen zu sein.

,,Du schaffst das. Wir schaffen das.

Kein Physikum 2022, nicht mehr Teil der Bubble und doch nicht ausgeschlossen.

Diejenigen meiner Freunde, die ebenfalls schieben, berichten ähnliches.

,,Da treffe ich auf Kommilitonen, die gerade von einem Lerntreffen kommen und merke im Gespräch mit ihnen, dass es keiner von ihnen  zu verurteilen scheint, dass ich geschoben habe. Im Gegenteil, die haben nur gesagt ‘Richtig so.’ oder ‘Hätt ich auch machen sollen’. Aber naja, man sah ihnen die Erschöpfung auch echt an.”

Selbst als Schieber bekommt man also das Gefühl des Zusammenhalts weiterhin vermittelt.

Es zeigt: Die richtigen Kommilitonen, gute Freunde also, sind Gold wert. 

Und ganz sicher sind sie auch eine unabdingbare Stütze, um das Physikums moralisch zu bestehen.

Nicht zuletzt, weil sie das Stressbewältigungsintrument nummer eins liefern: Humor

Anspannung rausnehmen. Luft zum Atmen bekommen. Den Ernst der Lage vergessen. 

,,Weißt du Audrey, bei der schriftlichen Prüfung auf dem Messegelände, da saß so ein Typ neben mir, der hat mich einfach nur total fasziniert. Da schält der sich eine Banane nach der nächsten. Da kam über die Prüfungsdauer ein beeindruckender Berg von Bananenschalen zustande, du hättest gestaunt. Als ich den Haufen am Ende der Prüfung auf seinem Tisch gesehen habe, habe ich mich echt gefragt, wie das geht. Die Bananen wird er die nächsten Tage spüren.”

Es folgte eine Diskussion darüber, wie viele Punkte einem wohl der Zuckerrauch von einer Banane bescheren könnte. Wer weiß, vielleicht hat besagter Student ja das Geheimnis zum Bestehen der Prüfung gelüftet. Womöglich wird man in Zukunft viel häufiger Bananenschalenberge auf Tischen der Prüflinge zu sehen bekommen. 

Wir amüsierten uns auch über die süßen Prüfungsaufsichten, die das LPA für die schriftliche Prüfung organisiert. Statt den Professoren, Doktoranden und Tutoren, die sonst bei einer Klausur Aufsicht haben, bezahlt das LPA anscheinend RetnerInnen, damit diese nach dem Rechten schauen. Dass dabei lustige Gespräche zwischen Aufsicht und Prüflingen resultieren, war zwar sicher nicht die Mission des LPAs, reduziert jedoch sicher auch die Prüfungsangst vor Ort.

Und wenn man mit der Prüfungsaufsicht nicht so viel Glück hat, bleibt einem beim Lernen in der UB immer noch das unerschöpfliche Spektrum an Wandkritzeleien, um etwas zum Lachen zu haben.


Autorin:

Audrey

Coucou, mein Name ist Audrey und ich bin eine aufgeweckte Medizinstudentin aus Freiburg!

Derzeit befinde ich mich ich im vierten Fachsemester Humanmedizin der Albert-Ludwigs-Universität. Ich bin unternehmungslustig, neugierig und nehme mich selbst meistens nicht allzu ernst. Hier schreibe ich ehrlich und ungeschönt über das Medizinstudium, das Studentenleben und so manches anderes.

Mach dir doch einfach dein eigenes Bild. Bis dann!

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