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So meine lieben Kinderleins I: die Anatomiebros, die Survivors und die Bindeglieder
Ob ich wohl eine ganze Bank für mich alleine einnehmen kann? Ich strecke meine Gliedmaßen und lege mich quer über die Sitzfläche. Als wäre das noch nicht genug, tippe ich mit den Fußspitzen auf die Bank daneben. Zum Amüsement meiner Freunde.
,,Das ist jetzt meine Lavette. Ich fühl mich gerade, als bräuchte ich selber eine.”
Dramatisch? So kennt man mich.
Es ist dunkel im Institutsviertel. Wir halten uns bei den Bänken vor der Physiologie auf und betrachten die umherhuschenden Studenten.
Die umherschuschenden Erstis. Die neuen Drittsemestler, die sich in Schlangen vor dem Gebäude reihen, um noch ihre Physiologie-Skripte zu kaufen.
Einige von ihnen haben gerade ihren ersten Präp-Tag hinter sich. Zumindest, wenn sie zur späten Kohorte gehören. Ein Präptag, der dann halb so lange war, wie meiner. Vielleicht gehören sie aber auch zu der Gruppe, die heute zum ersten Mal BC-Labortag hatte.
Noch mehr umherhuschende Studenten durchqueren den Ameisenhaufen an Menschen. Ein paar Höhersemestrige reihen sich in eine andere Schlange ein. Am Donnerstag steht die große M2 Party an. Damit die M2-ler auch endlich feiern können, dass sie ihr Stex absolviert haben.
Hinter uns tagt die Fachschaft zum ersten Mal dieses Semester.
Bei mir sitzen die neuen Kliniker, die heute ihre Einführungsveranstaltungen hatten. Wie gesagt, der reinste Ameisenhaufen, das Institutsviertel.
Ein Ersti bin ich nicht mehr. Aber davon abgesehen lasse ich mich wohl weder von einer der genannten Gruppen gänzlich sondieren, noch zurrechnen. Ich stehe zwischen den Stühlen. Also, eher zwischen den Bänken. Aber es ist kein schlechtes Gefühl.
Genau wie die umherhuschenden Studenten gehen meine Freunde und ich gerade unserer eigenen Wege. Wege, die Gemeinsamkeiten aufweisen. Wege, die alle auf ihre Art anspruchsvoll und anstrengend sind.
Es ist der Semesterstart, der in der Luft liegt. Wusch wusch.
Für mich hat der Tag früh gestartet. Weil ich wusste, dass mich vor der ersten Schicht in der Prosektur noch Termine des Erwachsenenlebens erwarten. Mühselige Termine, Behördengänge, Zeitfresser.
Da ich aber sowieso Mühe habe, mit meinem ambitionierten Lernplan nicht komplett hinterher zu hängen, hieß es für mich extrem früh aufstehen.
Ab 7 Uhr in der UB. Lernen. Meine neue Lernpartnerin gesellt sich irgendwann dazu. Meine Termine rufen, ich breche auf. Wusch wusch. Dann tanze ich in der Prosektur an.
Die Hiwis müssen früher da sein, damit sie eingearbeitet werden können.
Wir werden von den Anatomiebros willkommen geheißen.
Es herrscht ein organisatorisches Tohuwabohu. Nicht alle Tutoren haben ihre Arbeitsverträge rechtzeitig bekommen. Nicht alle dürfen schon mit der Arbeit beginnen. Die Hiwi-Posten des Kurstages 1 sind nur spärlich besetzt. Die Einführung der Anatomiebros findet im unteren Saal statt.
Okay. Man darf mich nicht falsch verstehen. Ich habe einen tiefen Respekt vor den Lehrenden und den Leitern der Prosektur. Gerade nach einer langen intensiven Schicht kann ich mich nur ehrfürchtig davor verneigen, dass sie noch um einiges länger am Embryologischen Institut verharren, als die Tutoren. Dass sie organisatorisch und didaktisch noch einiges mehr zu stemmen haben. Schließlich fungieren wir Hiwis nur als Bindeglied zwischen Studenten und Lehre. Manche von uns wurden als verlängerter Arm der Prosektur bezeichnet. Aber wie gesagt, tiefen Respekt meinerseits für die Lehrenden und Organisatoren.
Diesem Respekt zum Trotz werde ich nicht davon abrücken, sie im Geheimen die Anatomiebros zu nennen. Es ist ein Begriff, der wie für sie gemacht ist. Bereits im zweiten Semester habe ich sie so getauft. Wie sie so da standen, im Histologie-Lifestream, sich gegenseitig in die Aufnahme spaziert sind, Unterhaltungen geführt, vielleicht auch mal kurz dem Kollegen auf die Schulter geklopft haben. Richtige Bros eben.
Bei der Einarbeitung erwische ich mich, wie ich sie gelegentlich mustere und – von meiner Maske kaschiert – über ihre ,,Brohaftigkeit” lächle. Wie der eine mit verschränkten Armen lässig im Türrahmen lehnt, der nächste danben halb im Waschbecken sitzt und der dritte die Erläuterungen der anderen unterbricht. Wie gesagt, kompetent und respektiert. Aber auch einfach lustig mit anzusehen, die Bros.
Gut, die weiblichen Anatominnen – durchaus in der Unterzahl, wie mir scheint – darf man auf keinen Fall mit dem ,,Bro”-Begrfiff ausgrenzen. Wahre Womenpower strahlen sie aus, das bestreitet niemand. Es soll Erwähnung finden.
Zwischen den Stühlen also. Selbstverständlich bin ich bei weitem nicht die einzige Schieber. Gerade unter den Hiwis. ,,Schiebst du auch?” – ,,Ja. Du?“ – ,,Jo. Bei dir Physio oder nur so?” – ,,Beides.” – ,,Versteh ich. War bei mir aber besser so, glaub mir.” – ,,Dem schließe ich mich an.”
Ein Standardgespräch. Aber man versteht sich. Man steht gemeinsam zwischen allem. Oder positiv formuliert: Wir sind die Bindeglieder. Die Bindeglieder zwischen Dozent und Student, aber auch zwischen den Semestern.
Nach der Einarbeitung stehen wir im leeren Saal. Drei oder vier Hiwis. Gelbe Kittel mit mehr oder weniger provisorischen Schildchen dran. Manche haben bereits ihr ,,Cand. med.” darauf.
,,Kandiert, wie kandierte Mandeln. Wir sind die besonders süßen.”, meinte ein Freund von mir. Und erntete reichlich Kopfschütteln von den anderen.
Die anderen ,,Kandierten”. Sie berichten von ihren Einführungsveranstaltungen, während wir auf den Bänken flänzen. ,,Manches war spannend. Manches aber auch ziemlich öde und langatmig. Bestimmte Dozenten waren lustig. Insgesamt sind sie entspannter drauf, in der Klinik. Die Dekanin der Klinik wirst du mögen, Audrey, auch sone Powerfrau. Von der sind ebenfalls ein paar lustige Sprüche gekommen.”
Wenn ich die frisch gebackenen Kliniker frage, bekomme ich ein einheitliches Stimmungsbild.
,,Ja Physikum war hart. Ja die Zeit zur Erholung war kurz. Staatsexamen statt Semesterferien ist schon sone Nummer. Dennoch bin ich vollkommen motiviert. Bei allem was heute so vorgestellt wurde habe ich gemerkt: Die Sachen interessieren mich.”
,,Ich hab richtig Bock. Ist zwar ziemlich Chaos das ganze Neue. Man muss gefühlt 40 Kurse absolvieren bis zum M2. Viele Kurse, jeder Experte hat heute auch son bisschen sein Fach vorgestellt. Das hatte man in der Vorklinik gar nicht gehabt, auf die Art. Spannend wars. Aber viel, huhuuu. Und dann kommen noch Famulaturen und Praktika. Vieles davon kann man im Ausland machen. Viele Möglichkeiten. Auch zum Thema Doktorarbeit. Viele Chancen und Gelegenheiten, an den eigenen Fertigkeiten zu feilen. Bei einigem hätte man sich am besten gestern schon angemeldet. Chaos. Aber cool.”
,,Jetzt beherrscht man die ganzen Grundlagen. Jetzt kann man endlich die pathologische Seite von allem kennenlernen. Außerdem ist es nicht so, dass man komplett vorne anfängt. Jetzt studiert man schon ein wenig. Jetzt kennt man die Abläufe. Jetzt weiß man, wie man studiert. Diesmal startet man nicht alleine. Man kennt die anderen. Wir, die Survivors.“
Survivors, der Titel den wir den neuen Klinkern gegeben haben. Schließlich haben sie die letzten Monate wirklich irgendwie im ,,survival-mode“ durchgestanden.
Ich freue mich, dass ihr Start so positiv geprägt ist. Und hoffe inständig, dass ich irgendwann auch so empfinden werde.
Davor muss ich wohl noch einiges absolvieren. Selbst den Survival-Mode durchstehen.
Genau wie die neuen Dritties. Im grellen Licht des Präp-Saals, wo ich mit meinem gelben Kittel auf diejenigen warte, die ich früher oder später meine ,,Kinderleins” taufen werde.
Autorin:
Audrey
Coucou, mein Name ist Audrey und ich bin eine aufgeweckte Medizinstudentin aus Freiburg!
Derzeit befinde ich mich ich im vierten Fachsemester Humanmedizin der Albert-Ludwigs-Universität. Ich bin unternehmungslustig, neugierig und nehme mich selbst meistens nicht allzu ernst. Hier schreibe ich ehrlich und ungeschönt über das Medizinstudium, das Studentenleben und so manches anderes.
Mach dir doch einfach dein eigenes Bild. Bis dann!
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