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Eichhörnchen besucht Medizinstudierende in der Bibliothek

Privilegien und unerwartete Zwischenfälle

Manchmal ist der Studiengang Medizin so hart und stressig, dass ich ganz vergesse, was für ein Privileg es doch ist, Teil davon zu sein.

Sicherlich gibt es einige, die davon träumen. Die darauf hinarbeiten, doch noch irgendwann einmal Humanmedizin auf der Immatrikulationsbescheinigung stehen zu haben.

Doch wie häufig weiß man es wirklich zu schätzen? Oftmals ist das Studium mit Versagens- und damit nicht zuletzt Existenzängsten verbunden. Denn so ist es nun mal, Medizinstudentin zu sein macht einen signifikanten Teil meiner Identität aus. Es ist eine Rolle, der jeder von uns seine ganz eigene persönliche Note verleiht, indem er ihr Charakter einhaucht.

,,Das kann doch nicht sein, dass das dein Ziel ist. Neurochirurgin sein und das war’s dann. Das bist du dann ? Die Chirurgin???“, hat mal ein Kommilitone im Rahmen einer Diskussion zu mir gesagt. ,,Du sagst das so, als würde mir diese Rolle dann aufgedrückt. Als würde ich dadurch versäumen, den Rest meiner Persönlichkeit zu pflegen. Aber ist das nicht genau andersrum? Studiere ich nicht gerade deswegen Medizin, weil es so viel von dem, was mich ausmacht, widerspiegelt? Ich habe mich doch bewusst für dieses Studium entschieden.“
Mein Kommilitone verzog das Gesicht. Er wusste mir nicht zu widersprechen, aber zufrieden war er auch nicht. Nun ja. Das ist Bestandteil unserer Freundschaft, dass wir uns nicht immer nicht einig sind.

Nichtsdestotrotz ändert das alles nichts an der Tatsache, dass einem das Studium nicht nur Glücksgefühle beschert. Bei weitem nicht. Die meiste Zeit erfordert es eine Menge Durchhaltevermögen bei simultanen Mangel an Erfolgserlebnissen.

,,Du bist ja schon wieder am Lernen.“, meinte erst gestern eine Kollegin beim Ehrenamt zu mir. Ich blickte auf, von meinen Physiologieunterlagen. Während der Schichte hatte ich einen ruhigen Moment genutzt, um einen Blick hinein zu wagen. ,,Ja was denn auch sonst?“
Ich lächelte resignierend an und zuckte mit den Schultern.
,,Ich weiß nicht? Mal Pause machen?“
,,Oh, da bin ich nicht so gut drin. Ich weiß gar nicht mehr wie sich das anfühlt, nicht lernen zu müssen.“
,,Gut vermutlich.“
Ich blickte sie an. Ganz Unrecht hatte sie da nicht.

Aber es stimmt nicht ganz. Es gibt Momente, da schaffe es auch ich, Pause zu machen. Beispielsweise, wenn ich mit Kommilitonen auf der Wiese des Institusviertels sitze, die große Trauerweide über uns. Wie sollte man da auch nicht zur Ruhe kommen?

Tatsächlich schaffe ich es aber nicht oft, die Arbeit ganz nieder zu legen. Wenn ich nicht mit Freunden am Fluss gesessen hätte, sondern alleine, dann hätte ich sicher mein Tablet herausgeholt. Oder ein Lehrbuch. Womöglich muss meine Art zur Ruhe zu kommen weiterhin mit einer Art von Arbeit, Projekt oder Leistung verbunden sein. Aber das ist auch in Ordnung. Solange ich in dem Moment keinen Druck empfinde, ist es auch eine Art der Regeneration.

Im Sommer ist es vor allem der ständige Wechsel des Lernplatzes, der es mir ermöglicht, mich immer wieder an die Arbeit zu machen. Morgens lerne ich in der Regel nicht dort, wo ich mittags oder abends lerne. Vor einem Termin und nach einem Termin. Immer dorthin, wo ich mich gerade am wohlsten fühle, wo es gerade am schönsten ist. Es ist gerade an vielen Orten schön, im sommerlichen Freiburg.

Ich kann nicht sagen, dass es an meinen Lernorten jemals langweilig wird.

Manchmal geschehen da geradezu skurrile Dinge.

10 Uhr. Das heute war mein Versuch einmal auszuschlafen. Hat nur mehr oder weniger gut geklappt. Jetzt sitze ich auf dem Rad. Heute mittag springe ich bei der Mission für eine Kollegin ein. Also muss ich schauen, wie ich dieses Zeitdefizit mit gesteigerter Produktivität vor und nach der Schicht kompensiere.
Auf zur UB, dachte ich mir. Doch als ich am sonnigen Institutsviertel vorbeifahre, ändert sich meine Meinung. Chemie-Bib, wieso nicht.
Die Räumlichkeiten sind lichtdurchflutet und beinahe leer. Es ist Feiertag. Naja, was sind schon Feiertage bei einer vollen To-Do-Liste?
Ich suche mir einen Platz im Erdgeschoss. An der Glaswand mit Blick in den Garten
.

Nachdem ich meinen Arbeitsplatz eingerichtet habe, bin ich erstmal wie gelähmt. Womit fange ich an? Blick in mein Notizbuch. Ahja.
Doch ich soll nicht weit kommen.
Am Rande meines Blickfeldes bewegt sich eine Gestalt.
Oh da spricht jemand mit mir.
,,Haben Sie das gesehen?”
Es ist ein Mitarbeiter der Bibliothek. Derjenige, der immer am Empfang sitzt. Viel zu nett,um ein Bibliotheksdrache zu sein.
Jetzt deutet er auf die Glaswand links neben mir. ,,Sehen Sie? Die sind hier ganz selten!”

Er deutet auf ein kleines herumhüpfendes Fellknäuel. Nein Stop. Eigentlich viel zu elegant, um als solches beschrieben zu werden. Orangenes Fell, die Tatzen anmutig angehoben, blickt es uns herausfordernd an. Wer beobachtet hier wen? Scheint es uns zu fragen.
,,Die sind hier ganz selten. Wurden von der grauen Sorte aus Amerika verdrängt. Die grauen sind ganz aggressiv. Die rotbraunen eher scheu und zurückhaltend.”
Hüpf. Hüpf. Hüpf. Es ist, als würde das Tier den Bibliothekaren eines besseren belehren wollen. Scheu? Ha! Weit gefehlt. Wir würden bereits in den nächsten Augenblicken erfahren, wie weit. Ich weiß nicht mehr genau, welches Faktenwissen der Eichhörnchen-Kenner gerade von sich gab. Woran ich mich allerdings genaustens erinnere ist, wie plötzlich ein rötlich-braunes Etwas durch den schmalen Türspalt der Glastüre hüpfte. Hüpf. Hüpf.Hüpf. Ruckartig stehe ich auf.

,,Sehen Sie das?!”, die Maske verbirgt mein breites Lächeln.
,,Nein, was?”,erwiderte der überraschte Bibliothekar.
Ich deute auf das Etwas, das nun zwischen den uralten Bücherregalen umher hüpfte.
Wie gesagt: Scheu?- Weit gefehlt!
Was nun folgte war eine wilde Verfolgungsjagd quer durch die Chemiebibliothek.
Die wenigen Besucher wurden durch den Bibliothekar, das Eichhörnchen und meine Wenigkeit aufgescheucht. ,,Hier ist es!”
Zack. Ein Regal hoch. Zack. Unter dem Schreibtisch des Bibliothekars durch. Dann einmal den Flur entlang. Die Treppen hoch und runter. Hüpf. Hüpf. Hüpf.


Zu diesem Zeitpunkt war ich keine Medizinstudentin mehr. Keine junge Erwachsene.
Zu diesem Zeitpunkt wurde ich zum Kleinkind, das einem Eichhörnchen hinterherjagt. Es war ein Spaß.
Die Jagd wurde dadurch beendet, dass sich das Eichhörnchen wieder nach draußen begab. Vermutlich hatte es sich genug über uns moquiert. Vielleicht war es aber auch empört, weil ich dem Bibliothekaren vorgeschlagenen hatte, man könne es doch mit etwas Essbarem anlocken.
Mit mir nicht. Hüpf. Hüpf. Hüpf.


Nur eine Woche später sollte sich ein Vogel in die Chemiebibiothek verfliegen und dort erst nach drei Tagen wieder herauszufinden. Drei Tage. Das ist länger als meine längste Bib-Session. Respekt.
Scheint so, als gefiele es den Tieren in diesem Lesesaal genauso gut, wie mir.
Der Vorfall verstärkte diese Sympathie jedenfalls nochmals deutlich.

Und wenn man nach einem langen Tag zurück ins Institutsviertel kommt, am Fluss sitzt und die Füße im warmen Wasser baumeln lässt, dann merkt man, wie schön man es doch hat, als Medizinstudent.

Wir haben das schönste der Freiburger Institute.
Zwischen dem Grün der Trauerweide und dem Grün der Wiese, reduziert sich der Stress wieder auf ein Minimum. Es ist wie eine eigene Welt, die auf diese Art und Weise nicht jedem zugänglich ist.
Um einen herum die Lehrgebäude, andere Studenten, die Mensa und womöglich irgendwo versteckt: ein kleines rötlich-braunes Etwas.

Sich als Teil dieser Welt bezeichnen zu dürfen, gehört zu den Privilegien dieses Studiengangs.


Autorin:

Audrey

Coucou, mein Name ist Audrey und ich bin eine aufgeweckte Medizinstudentin aus Freiburg!

Derzeit befinde ich mich ich im vierten Fachsemester Humanmedizin der Albert-Ludwigs-Universität. Ich bin unternehmungslustig, neugierig und nehme mich selbst meistens nicht allzu ernst. Hier schreibe ich ehrlich und ungeschönt über das Medizinstudium, das Studentenleben und so manches anderes.

Mach dir doch einfach dein eigenes Bild. Bis dann!

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